100 Jahre Viba Nougatstange

Wenn Sie heute in Berlin, Paris oder in Rom eine Passantin oder einen Passanten fragen: Kennen Sie Nougat, so wird Ihnen geantwortet: „Selbstverständlich – naturellement – naturalmente.“ Sie alle kennen Nougat, auch die Skandinavierinnen und Skandinavier, die Britinnen und Briten sowie die Kanadierinnen und Kanadier – und sie alle verstehen etwas anderes darunter.
Doch das, was wir Nougat nennen, heißt in Frankreich „Praliné“ und in Italien „Gianduja“, wobei in Italien der Gianduja nicht so fein vermahlen wird wie der Nougat in Deutschland.

Die Geschichte des Nougats

Der Ursprung unseres Nougats liegt im italienischen Piemont. Hier, insbesondere in Turin pflegte man bereits im 18. Jahrhundert eine ausgeprägte Kunst der Kakao- und Schokoladenverarbeitung. Napoleon, der das Piemont besetzt hatte, verfügte ab 1806 die sogenannte Kontinentalsperre, die alle Waren aus England und deren Kolonien mit Zöllen belegte. Dies verteuerte auch die Schokolade. Um diese wieder bezahlbar zu machen, begann man, sie mit gerösteten und anschließend gemahlenen Haselnüssen zu „strecken“. Aus dieser Verlegenheitslösung entstand in Italien das Gianduja.
Der Weg nach Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die Entstehung der Produktbezeichnung „Nougat“ ist im Einzelnen nicht bekannt. Es ist davon auszugehen, dass der Begriff „Nougat“ aus der Provence kommt, wo man eine weiße, schaumig aufgeschlagene Masse vermischt mit Honig, Mandeln, Haselnüssen und Pistazien „Nougat“ nennt. Die Rezepte variieren also nach Region. Bei uns wird dieses Produkt/diese Art Nougat „Türkischer Honig“ oder Nougat „Montelimar“ genannt. Die Entwicklung des Nougats in Deutschland und Österreich war gekennzeichnet von den Bemühungen, dem Nougat einen feinen Schmelz zu verleihen. Mit der zunehmenden Technisierung war es möglich, Conchen und Walzen zu bauen, die eine sehr feine Vermahlung der Massen ermöglichten.

Das Original kommt aus Thüringen

In Schmalkalden hatte 1893 Willi Viebahn, ein junger Konditormeister, mit seiner Schwester Anna Reim ein kleines Café übernommen. Willi Viebahn, ledig und kinderlos, verstarb bereits 1914, Anna Reim führte das Café mit ihren Kindern Paul und Edith weiter.
Die Jahre des Ersten Weltkrieges waren schwierig. Glücklicherweise kam Sohn Paul 1918 gesund aus dem Krieg zurück. Nun konnte er sein Können zeigen. Mit seiner inzwischen verheirateten Schwester und deren Mann Adolf Erbe beschlossen sie den Bau einer Fabrikation in Schmalkalden. In diese Zeit fiel auch die Anschaffung einer eigenen Nougatmasse-Fertigung. Im Nachbarort Kleinschmalkalden wurden in einem befreundeten Unternehmen Zigarren gewickelt und verpackt. Dazu bediente man sich einer Packmaschine, mit deren Hilfe mehrere Zigarren in einem Arbeitsgang mechanisch abgepackt werden konnten. Dies brachte die Reims auf eine brillante Idee. Da mit einer einfachen Strangformtechnik auch der Nougat in die Form einer Zigarre gebracht werden konnte, entschied man sich für die Anschaffung und den Einsatz einer solchen Packmaschine. Die Nougatstange war geboren.

Die Nougatstange im Wandel der Zeit

Die Nougatstange durchlebte eine wechselvolle Geschichte. Die Weltwirtschaftskrise zum Ende der 1920er- und im Verlauf der 1930er-Jahre begann mit dem New Yorker Börsencrash im Oktober 1929. Zu den wichtigsten Merkmalen der Krise zählten ein starker Rückgang der Industrieproduktion, des Welthandels, die Zahlungsunfähigkeit vieler Unternehmen und massenhafte Arbeitslosigkeit, die soziales Elend und politische Krisen verursachte. Von diesen immensen Problemen blieb auch Viebahn nicht verschont. Es gab heftige Diskussionen innerhalb der Familie über die Weiterentwicklung des Unternehmens. Unterschiedliche Auffassungen führten zur Trennung des Produktionsbereichs vom „Café Viebahn“. Das Ehepaar Erbe führte den Produktionsbereich und Paul Reim mit seiner Mutter und Familie das Café.

Der Produktionsbetrieb Viebahn Süßwaren KG erlebte in der Mitte der 1930er-Jahre eine gewisse Blütezeit. Es stand allerdings nicht der Nougat im Mittelpunkt der Vermarktung, sondern ein umfangreiches Sortiment an Marzipanfiguren, die in ganz Deutschland erfolgreich abgesetzt werden konnten. Es wurden Umsätze von über zwei Millionen Reichsmark erwirtschaftet, was heute umgerechnet nach Kaufkraft fast 20 Millionen Euro bedeuten würde. Der Kriegsbeginn 1939 brachte erneut deutliche Rückgänge, da die wichtigen Rohstoffe wie Kakao, Mandeln, Nüsse etc. nur noch begrenzt beschafft werden konnten. Da auch viele Mitarbeiter in den Wehrdienst eingezogen wurden, konnte nur ein bescheidener Betrieb in Produktion und Café aufrechterhalten werden.

Nach dem Krieg begann man 1945 Schritt für Schritt die Produktion von Marzipan und Nougat wieder zum Laufen zu bringen. 1972 kam es zur Enteignung und Verstaatlichung aller Betriebe mit einer gewissen Größe. Der Hersteller der Nougatstange hieß nunmehr „VEB Nougat- und Marzipanfabrik Schmalkalden“. Der Import von Rohstoffen wurde fortan staatlich reguliert. Dem VEB standen nur geringe Devisenkontingente
zur Verfügung. Damit war die Beschaffung der überwiegend aus dem Ausland erhältlichen Rohstoffe begrenzt. So konnten für die Nougatfertigung in der Regel nur ca. 100 Tonnen Haselnüsse beschafft werden, woraus ca. 250 Tonnen Nougat gefertigt werden konnten. Ziel des DDR-Regimes war es, möglichst viele Importrohstoffe durch einheimische Produkte zu ersetzen. So erfand man das Persipan, ein Marzipanersatz, der aus Aprikosenkernen gefertigt werden konnte.
Aus Parteikreisen der SED wurde wegen der großen Beliebtheit des Nougats mehrfach das Ansinnen an die Unternehmensleitung herangetragen, die teuren Haselnüsse mit Erdnüssen zu strecken, um so eine höhere Produktionsmenge zu erreichen. Es wird berichtet, dass der im Unternehmen zu dieser Zeit für die Sortimente verantwortliche Ernst Linde in einem Gespräch, in dem es erneut um dieses Ansinnen ging, gesagt haben soll: „Die Änderung bekommen Sie nur über meine Leiche!“ So blieb die Rezeptur unverändert.

100 Jahre unverwechselbar in Geschmack und Form

Die Beibehaltung der Rezeptur und der Qualität der Nougatstange während der gesamten DDR-Zeit brachte ihr jetzt eine überaus hohe Beliebtheit. Die Produktionsmengen konnten die Nachfrage nicht decken. Lieferungen an den Handel wanderten nicht normal in die Regale, sondern wurden von der Kassiererin unter der Kasse versteckt. Für bevorzugte Kundinnen und Kunden gab es die Nougatstange also „unterm Ladentisch“ zum Preis von 1,44 Mark, was bei einem durchschnittlichen Monatslohn von ca. 600 Mark nicht gerade preiswert war. So bürgerte sich für die Nougatstange und andere schwer erhältliche Produkte die Bezeichnung „Bückware“ ein.

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